• Finanzielle Anreize für anachronistische Beziehungsformen zu setzen, ist illiberal.

    Sorry, aber das ist doch Humbug. Wer definiert, was chronistisch ist und was nicht? Nach der Logik wäre es auch illiberal, wenn in den 50er Jahren jemand das Ende der Verfolgung Homosexueller gefordert hat, weil es ja nicht im Zeitgeist war.

    Zum Rest muss ich dir auch stark widersprechen. Du wirst nicht finanziell “bestraft”. Das Ehegattensplitting wirkt nur bei deutlich unterschiedlichen Gehälter, wo zu Recht die Vermutung naheliegt, dass einer der Partner mehr Carearbeit leistet. Genausowenig sind Ehepartner keine selbstbestimmten Individuen. Sie haben selbstbestimmt beschlossen, dass sie ein Leben lang zusammen leben und gemeinsam füreinander da sein wollen. Damit gehen sie gegenseitige Verpflichtungen ein und haben gegenseitige Rechte, die auch für staatliche Institutionen eine Vereinfachung darstellen, weil diese Themen formal geregelt werden können.

    Wenn du Selbstbestimmung damit gleichsetzt, keine formale Verpflichtung einzugehen, und jederzeit Verantwortung ablehnen zu können, dann ist das natürlich dein gutes Recht. Daraus aber zu machen, dass du ja benachteiligt wärst, weil du die damit verbundenen Rechte nicht genießen kannst, ist “Wasch mich, aber mach mich nicht nass.”

    Und stellen wir mal die umgekehrte Frage, was wäre, wenn für Partnerschaften die gleichen Regeln gelten würden wie für Ehen? Würde dann die eine Person mit der du mal im Studium für ein paar Monate was hattest das Recht haben, einen Anteil von dem haus zu Erben, dass du mit deinem jetzigen Partner, mit dem du gemeinsame Kinder hast bewohnst? Oder müsste dann umgekehrt bei Ehepaaren das Erbe entfallen, und wenn es keine Kinder gibt, wird die Hälfte des Hauses an den Onkel vererbt, zu dem man seit 40 Jahren keinen Kontakt mehr hat?

    • @Anekdoteles
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      1 year ago

      Wer definiert, was chronistisch ist und was nicht? Nach der Logik wäre es auch illiberal, wenn in den 50er Jahren jemand das Ende der Verfolgung Homosexueller gefordert hat, weil es ja nicht im Zeitgeist war.

      Avantgardistisch fällt nicht unter anachronistisch und ich denke, die allermeisten Leser haben das auch so verstanden, dass “von gestern” gemeint war und nicht “zum Zeitgeist unpassend”. Zumal auch der Zeitgeist und das Moralverständnis der Mehrheitsgesellschaft anachronistisch sein kann: Da fallen mir spontan natürlich wieder “der Traum vom Eigenheim” und das Auto ein.

      Zum Rest muss ich dir auch stark widersprechen. Du wirst nicht finanziell “bestraft”.

      Doch und zwar ganz eindeutig! Wenn du Gutverdiener bist und mit einer Geringverdienerin versehentlich ein Kind zeugst, wirst du dafür bestraft, wenn du dann nicht mit ihr zusammenziehst und sie heiratest. Wenn du als Geringverdiener mit einer Gutverdienerin in einer intensiven, stabilen Lebensgemeinschaft unter einem Dach lebst und ihr euch dafür entscheidet, ein Kind zu zeugen, werdet ihr ab der Geburt des Kindes dafür bestraft, wenn ihr euch nicht den Rechten und Pflichten einer traditionellen Ehe unterwerfen wollt. Die Opportunitätskosten, die euch der Staat in diesen Fällen aufbürdet, sind Strafzahlungen dafür, dass ihr nicht nach seinen Vorstellungen lebt - und die sind nunmal reaktionär.

      Das Ehegattensplitting wirkt nur bei deutlich unterschiedlichen Gehälter, wo zu Recht die Vermutung naheliegt, dass einer der Partner mehr Carearbeit leistet

      Und da liegt doch der Hase im Pfeffer begraben: Sollte das so sein, dass einer der Partner mehr Carearbeit leistet? Das Ehegattensplitting fördert es und dem liegt ein anachronistisches Werturteil zu Grunde, das heute so selten geworden ist, dass man es schon als exotisch bezeichnen könnte. Ein Incentive für eine moderne Familie, würde Paare bestrafen, wenn sie ungleiche Anteile an Erziehung, Erwerb und Haushalt haben bzw. eben belohnen, wenn sie sich die Arbeiten fair und auf Augenhöhe aufteilen würden. Partnerschaft statt Patriarchat eben.

      Daraus aber zu machen, dass du ja benachteiligt wärst, weil du die damit verbundenen Rechte nicht genießen kannst

      Die Formalisierung gegenseitiger Verantwortung liegt in der Natur der Ehe und ist das, was sie heute ausmacht. Das Ehegattensplitting dagegen gehört da definitiv nicht dazu, sondern soll nur dorthin lenken. Deswegen ist es auch falsch, dass du mir das unterstellst:

      Daraus aber zu machen, dass du ja benachteiligt wärst, weil du die damit verbundenen Rechte nicht genießen kannst, ist “Wasch mich, aber mach mich nicht nass.”

      Passender wäre doch: Mach nicht alle nass, nur weil sich ein paar waschen wollen.

      Und stellen wir mal die umgekehrte Frage, was wäre, wenn für Partnerschaften die gleichen Regeln gelten würden wie für Ehen?

      Ne, die Frage bauchen wir nicht stellen, weil sie wie gesagt überhaupt keinen Sinn macht. Die juristischen Rechte und Pflichten, die mit der Institution Ehe kommen, müssen getrennt von den Anreizen betrachtet werden, die zur Förderung derselben gelten. Du hast außerdem das Thema völlig aus den Augen verloren. Es geht hier darum, ob wir ungleiche Ehen allen anderen formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens gegenüber fördern sollten und zwar auch gegenüber egalitären Ehen und nicht, ob Ehen generell ein besseres Konzept sind als irgendwelche Situationships.

      • Zumal auch der Zeitgeist und das Moralverständnis der Mehrheitsgesellschaft anachronistisch sein kann: Da fallen mir spontan natürlich wieder “der Traum vom Eigenheim” und das Auto ein.

        Du antwortest damit nicht auf die Frage, wer hat das Recht das zu definieren und zum Maßstab zu erheben? Das ist doch nur deine Meinung auf Basis dessen, wie du persönlich dein Leben leben willst. Das zum Maßstab für andere zu erheben finde ich deutlich “illiberaler” als alles andere.

        Die Opportunitätskosten, die euch der Staat in diesen Fällen aufbürdet, sind Strafzahlungen dafür, dass ihr nicht nach seinen Vorstellungen lebt - und die sind nunmal reaktionär.

        Man kann Opportunitätskosten nicht aufbürden. Das steckt schon im Begriff. Es sind “Kosten” die einem aus der Wahl einer Variante über die andere entstehen, im Sinne von entgangenem “Gewinn”. Und was ist daran reaktionär, dass der Staat bestimmte Lebensverhältnisse fördert? Nach der Logik wäre auch Kindergeld, Elterngeld, Umweltsteuer auf Sprit, kurz alles, wo der Staat durch Subventionen etwas fördert prinzipiell reaktionär, außer es entspricht genau deiner Vorstellung davon was richtig und was falsch ist. Hier ist illiberal wieder eine Projektion, weil du möchtest, das deine Vorstellung durchgesetzt wird, entgegen der Lebensvorstellung anderer.

        Und da liegt doch der Hase im Pfeffer begraben: Sollte das so sein, dass einer der Partner mehr Carearbeit leistet? Das Ehegattensplitting fördert es und dem liegt ein anachronistisches Werturteil zu Grunde, das heute so selten geworden ist, dass man es schon als exotisch bezeichnen könnte.

        Wieder die Frage, sollte das jemand außerhalb der Familie entscheiden? Das Carearbeit unterschiedlich verteilt ist, ist häufig einfach eine Notwendigkeit, genauso wie es häufig Unterschiede beim Einkommen gibt. Die Realität ist, dass es in vermeintlich “modernen Familien” darauf hinausläuft, dass die Frau trotzdem den Haushalt schmeißt, während sie Vollzeit arbeitet. Das kann der Staat nicht verhindern. Warum sollten z.B. beide Partner Vollzeit arbeiten, aus Prinzip, wenn beide damit glücklicher wären, dass einer Teilzeit arbeitet?

        Ein Incentive für eine moderne Familie, würde Paare bestrafen, wenn sie ungleiche Anteile an Erziehung, Erwerb und Haushalt haben bzw. eben belohnen, wenn sie sich die Arbeiten fair und auf Augenhöhe aufteilen würden. Partnerschaft statt Patriarchat eben.

        Wie soll so ein Incentive aussehen und kontrolliert werden? Kommt dann einmal im Monat jemand vom Amt vorbei und guckt, wie die Arbeit insgesamt verteilt ist? Darüber hinaus kommt das Patriachat nicht aus der Gestaltung an sich, sondern aus der geschlechterbezogenen Rollenverteilung. Das zu überwinden kann nur unabhängig davon geschehen, ob die geschlechtsneutralen Systeme wie Ehegattensplittung existieren oder nicht.

        Passender wäre doch: Mach nicht alle nass, nur weil sich ein paar waschen wollen.

        Auch da ist wieder, dass du deine Vorstellung gegen die anderen durchsetzen willst. Wie gesagt, du wirst nicht bestraft, wenn du die damit verbundenen Vorteile nicht wahrnimmst. Du wirst ja auch nicht “bestraft”, weil Studierende BAFÖG in Anspruch nehmen können und du schon im Beruf stehst. Oder du keine Förderung für Wärmepumpen wahrnimmst, weil du Fernwärme hast etc. Das ist komplett albern, ein Recht auf jede Subvention haben zu wollen, und diese anderen versagen zu wollen, wenn sie nicht nach deiner Vorstellung leben.

        Die juristischen Rechte und Pflichten, die mit der Institution Ehe kommen, müssen getrennt von den Anreizen betrachtet werden, die zur Förderung derselben gelten.

        Da interpretierst du das Ehegattensplitting falsch. Es ist kein Anreizsystem damit Leute Ehe eingehen. Es ist ein Ausgleichssystem, das auf der Annahme beruht, dass beie Partner eine wirtschaftliche Einheit bilden, was ein Kernprinzip der “juristischen” Aspekte der Ehe ist. Hier wird die wirtschaftliche Einheit Ehe als Ganzes besteuert, indem der Steuersatz des Gesamteinkommens gebildet wird, statt für beide Einkommen einzeln.

        Es geht hier darum, ob wir ungleiche Ehen allen anderen formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens gegenüber fördern sollten und zwar auch gegenüber egalitären Ehen und nicht, ob Ehen generell ein besseres Konzept sind als irgendwelche Situationships.

        Ich finde es “illiberal” die Frage ob eine Ehe “ungleich” oder “egalitär” ist, daran festzumachen wieviel beide Partner verdienen. Da schwingt im Unterton mit, dass Liebe und Ehe gefälligst nur innerhalb der selben sozialen Klasse stattzufinden hat. Es ist ja auch möglich, dass beide Partner Vollzeit arbeiten, aber der eine nur Geselle/in ist, und der andere Partner Abteilungsleiter/in. Warum soll das jetzt steuerlich benachteiligt werden, gegenüber einem Paar von zwei Ingenieuren? Das Ehegattensplitting schafft steuerliche Gleichbehandlung aller Ehepaare, indem das Gesamteinkommen betrachtet wird.