Nach Gewalttaten an Schulen wird oft nach harten Konsequenzen gerufen. Wird die Jugend immer brutaler? Der Forscher Sören Kliem weiß, was wirklich Gewalt verhindern kann.

Härter durchgreifen, Millionen in Prävention stecken, das Alter der Strafmündigkeit absenken – wenn Jugendliche oder sogar Kinder schwere Gewalttaten begehen, gibt es Forderungen nach schnellen Konsequenzen. Sören Kliem forscht seit vielen Jahren zu Jugendgewalt und erklärt im Interview, welche Maßnahmen wirklich etwas ändern würden – und ob die Jugendgewalt wirklich zunimmt.

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  • @Haven5341OP
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    27
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    7 months ago

    Kliem: Ich denke, es gibt sehr wenige Menschen, die sich für einen kriminellen Weg bewusst entscheiden. Es gibt Dunkelfeldstudien, die zeigen, dass etwa 90 Prozent aller Jugendlichen im Laufe der Adoleszenz irgendeine Straftat begehen, und nur bei wenigen setzt sich das dann ins Erwachsenenalter fort. Extreme kriminelle Karrieren sind oft auch biografisch nachzuvollziehen. Das heißt nicht, dass man alles entschuldigen muss oder sollte. Eine sogenannte Nulltoleranzpolitik hat sich wissenschaftlich gesehen aber bisher nicht als wirksame Maßnahme zur Kriminalprävention erwiesen. Vielmehr sind Programme wirksam, die gezielt Familien, die in Armut leben, unterstützen. Wir untersuchen zum Beispiel derzeit den kriminalpräventiven Effekt eines Präventionsprogramms, Pro Kind, das vor etwa 16 Jahren Mütter schon während der Schwangerschaft angeboten wurde. Speziell geschulte Familienbegleiterinnen besuchen für etwa drei Jahre die Familien. Sie unterstützen sie bei Behördengängen, vermitteln Gesundheitswissen und beraten bei der Erziehung. Die Mütter, die an diesem Programm teilnehmen, geben eine hohe Zufriedenheit an und fühlen sich auf Augenhöhe behandelt. Dieses Programm ist in den USA schon sehr intensiv untersucht und konnte mehrfach nachweisen, dass Kinder, die in unterstützten Familien groß geworden sind, viel seltener Straftaten im Jugendalter begehen als vergleichbare Kinder, die ohne diese Unterstützung groß geworden sind. Also: Wer Jugendgewalt verhindern möchte, sollte sich vor allem um Babys kümmern. Prävention von schweren Formen von Jugendkriminalität hat auch immer etwas mit Armutsprävention zu tun.

    […]

    Kliem: Es gibt Programme, die auf den ersten Blick vielversprechend klingen, aber wenig hilfreich sind: eine harte Ansprache durch Polizei, Bootcamps oder der sogenannte Warnschussarrest, also eine Art Gefängnis auf Probe. Das Tragische ist: Es lässt sich für diese Programme kein nachhaltiger Effekt nachweisen. Wenn Berlin also jetzt 44 Millionen Euro jährlich für Prävention ausgibt, ist die Frage: Werden evidenzbasierte Programme unterstützt oder wird Geld für Programme ausgegeben, die gut klingen, aber bei denen keiner weiß, ob sie etwas bringen? Das Problem mit unserem Programm ist, dass es recht teuer ist und es lange dauert, bis man Erfolge sieht, nämlich vor allem nach zehn bis zwölf Jahren, wenn die Babys dann im Teenageralter sind.

    Und Rechte/Konservative so: Interessant, was der Experte da sagt … aber lasst uns lieber einen Polizeistaat errichten und möglichst viele Leute wegknasten.

    • @scorpionix
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      13
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      7 months ago

      Also ich höre nur, dass die sich mehr anstrengen müssen. Am Besten streichen wir erstmal weitere Sozialleistungen, damit sie mehr Ansporn haben.

      GaLiGr

      Ihr CL

      /s