Der rechtsextreme Burschenschafter Daniel Halemba wurde vorübergehenden verhaftet. Trotzdem strotzen die völkischen Netzwerke bei Bayerns AfD vor Kraft.

Mitte November, der neue Bayerische Landtag ist dabei, sich für die kommende Legislatur aufzustellen, es geht um die Besetzung der Ausschüsse. Nachdem die Regierungsfraktionen von CSU und Freien Wählern sich durch eine Geschäftsordnungsänderung den Vorsitz der drei wichtigsten Ausschüsse gesichert haben – andernfalls hätte die AfD für einen davon den Vorsitzenden vorschlagen können –, tritt Christoph Maier, Boxerschnitt mit strengem Scheitel, ans Rednerpult. „Meine sehr verehrten Damen und Herren“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, „heute soll ein kleines Ermächtigungsgesetz für die Regierungsfraktionen und ein Entmächtigungsgesetz gegen die stärkste Oppositionsfraktion im Besonderen beschlossen werden“.

Eine absichtliche Provokation, die ihr Ziel nicht verfehlt. Sofort kommt Unruhe in den übrigen Fraktionen auf, jemand ruft „Unerhört!“, jemand anders „Pfui!“. Die Reaktionen sind zwar nicht so laut, als dass Maiers Worte darin untergegangen wären, dennoch liest dieser seinen NS-relativierenden Vergleich vom „Ermächtigungsgesetz“ sicherheitshalber gleich noch ein zweites Mal vom Manuskript ab. Parlamentsalltag im Jahr 2023 im Freistaat Bayern.

Der Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz der Nazis ist freilich absurd und unverschämt, für AfD-Verhältnisse jedoch eher ein Eklatchen. Die meisten im Parlament waren schon in der letzten Legislaturperiode dabei und Zeuge, als etwa ein AfD-Abgeordneter mit einer Gasmaske ans Pult schritt, um gegen Corona-Schutzmaßnahmen zu protestieren, als ein anderer bei einer Gedenkminute für den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sitzenblieb oder als ein Großteil der Fraktion während einer Rede von Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, den Saal verließ.

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Dass die AfD tatsächlich eine gewaltvolle Politik verfolgt, daraus macht die Partei immer weniger einen Hehl. Schon 2018 forderte der Kopf des heute dominanten völkisch-nationalistischen Flügel, Björn Höcke, in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ offen ein „großangelegtes Remigrationsprojekt“, einhergehend mit „wohltemperierter Grausamkeit“. Höcke wolle entlang seiner Vorstellungen von ethnischer Homogenität als „Zuchtmeister“ den „Saustall ausmisten“.

Sogenannte gemäßigte Abgeordnete haben auch in der neuen Fraktion kaum noch etwas zu sagen. Nun ist „gemäßigt“ ohnehin eine recht schwierige Vokabel im Zusammenhang mit Politikern der bayerischen AfD. Benutzt wird sie dennoch, in der Regel für die – inzwischen recht wenigen – Abgeordneten, die nicht wie Frontfrau Katrin Ebner-Steiner oder Christoph Maier dem völkisch-nationalistischen Höcke-Lager zuzurechnen sind. Zu ihnen gehört beispielsweise Gerd Mannes. Der 54-Jährige saß auch schon in der vergangenen Legislatur im Landtag, jetzt holte er für seine Partei das bayernweit beste Erststimmenergebnis: 24,4 Prozent. Ähnlich Franz Bergmüller, der von den Wählern in den Landtag gehievt wurde, obwohl man ihn auf den quasi aussichtslosen Platz 18 der oberbayerischen Wahlliste verbannt hatte.

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Die AfD wirft anderen Parteien – insbesondere den Grünen – gerne vor, dass sie junge Berufspolitikerinnen und -politiker befördern, die noch nie richtig gearbeitet hätten. Gegenüber der taz beschwert sich ein bekannteres AfD-Mitglied aus Bayern nun allerdings darüber, dass auch viele junge Leute in der eigenen Fraktion „noch nie richtig gearbeitet haben“. Man betreibe regelrecht „Inzucht wie die SPD“. Die neuen Abgeordneten stünden stromlinienförmig hinter der neuen völkisch-nationalistischen Fraktionsführung von Ebner-Steiner und wollten keinen Streit riskieren: „Die sind froh, dass sie jetzt 13.000 Euro pro Monat überwiesen bekommen.“

Zu den Neuen in der Truppe gehören auch Leute wie Ramona Storm. Die unterfränkische Krankenschwester leugnet nicht nur die Gefährlichkeit des Klimawandels und des Coronavirus, sondern ist sich nicht einmal sicher, ob die Erde nicht vielleicht doch eine Scheibe ist. Sie tendiere zwar zur Version, dass sie eine Kugel sei, gestand sie der Süddeutschen Zeitung, nur: Von außen gesehen habe sie die Erde noch nicht. Mit Photoshop und so sei ja heutzutage viel möglich. Klingt lustig. Ist es nicht.

Oder Benjamin Nolte: Der 41-jährige Björn-Höcke-Fan ist bereits vor zehn Jahren in die AfD eingetreten, sitzt im Landesvorstand. Nolte ist Mitglied der rechtsextremen Münchner Burschenschaft Danubia. „Bananen-Nolte“ nennt man ihn auch, weil er bei einem Treffen von Burschenschaftlern dem Vertreter einer anderen Verbindung, die ein schwarzes Mitglied in ihren Reihen hatte, eine Banane überreicht hatte.

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Wes Geistes die Bewohner seines Verbindungshauses sind, darauf geben auch zahlreiche weitere Funde in dem Gebäude Hinweise: etwa NS-Devotionalien und Waffen. Das kommt nicht völlig überraschend: Verfassungsfeindliche Ansichten und rechtsextreme Kontinuitäten durchziehen die Historie der schlagenden Burschenschaft: Von Altnazis wie Gustav Jonak, seines Zeichens SS-Obersturmbannführer und Referatsleiter im Reichssicherheitshauptamt, das unter anderem zuständig war für die Organisation des Holocausts, über Neonazis und Antisemiten bis zum 2009 verstorbenen NPD-Liedermacher Michael Müller, der Mitglied der Teutonia Prag war und unter anderem sang: „Mit sechs Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an.“

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Mittlerweile aber geht der Bundesvorstand um Tino Chrupalla und Alice Weidel auf Distanz: Nach einer Recherche des Nachrichtenportals T-Online, die darstellt, wie Halemba ihm freundlich gesinnte AfD-Neumitglieder in den Kreisverband Unterfranken-Nord einschleuste, um seinen Einzug ins Parlament zu sichern – in zwei Fällen steht auch Meldebetrug im Raum –, ist die AfD-Spitze alarmiert. Waren ihr die Sieg-Heil-Einträge und die Ermittlungen noch kein Einschreiten wert gewesen, sorgen die Umtriebe der jungen Radikalen mittlerweile doch für interne Verstimmungen.

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Robert Andreasch, Münchner Rechtsextremismusexperte, hält es insbesondere für bezeichnend, dass auch der Bundesvorstand nichts zu Halembas Verfahren wegen Volksverhetzung gesagt habe. Die neonazistischen Umtriebe in der AfD Bayern beobachtet er schon länger: „Die AfD in Bayern ist ein weit ins Neofaschistische reichender Haufen, eine Unterteilung in gemäßigt und radikal ist absurd.“ Auch wenn Einzelne anders tickten, sei der Landesverband schon immer ultra­radikal gewesen, viele hätten bloß nie richtig hingeguckt, so der Experte.

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Für den Rechtsextremismusexperten Andreasch führten im Fall Halemba viele Stränge zusammen: das neofaschistische Netzwerk der Identitären Bewegung und der Jungen Alternative, Burschenschaftsverbindungen bis ins neonazistische Milieu hinein und die Unterstützung durch den völkischen AfD-Flügel, so Andreasch: „Das Neue ist, wie schamlos und offen weite Teile der AfD Bayern und Björn Höcke sich mit Halemba solidarisierten – selbst nach bundesweiter Aufmerksamkeit nach der Verhaftung.“ Am weiteren Umgang mit dem Fall werde sich zeigen, „ob es manchen auf die Füße fällt oder ob man jetzt vollends die Sau rauslassen kann“.

  • AggressivelyPassive
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    186 months ago

    Ich finde es wirklich erschreckend, mit welcher Gleichgültigkeit der Staat aber auch die Gesellschaft als ganzes darauf reagieren.

    Insbesondere wie komplett gehirngewaschen große Teile der Bevölkerung mittlerweile zu sein scheinen. Wenn man sich mal Interviews mit den Leuten anguckt oder einfach mal mit Leuten außerhalb der eigenen Bubble redet, dann sieht man unglaublich verhärtete Positionen, die fast ausnahmslos faktisch nicht haltbar und offensichtlich das Ergebnis von rechter Propaganda sind.

    Was soll man mit denen machen? Wenn man ehrlich ist, kann man 30% der thüringischen Bevölkerung in die Tonne kloppen. Die beweisen gerade selbst, dass sie entweder schlicht Nazis sind oder aber so unglaublich schlecht darin sich zu informieren, dass man ihnen eigentlich absprechen kann, mündige Bürger zu sein.

    Ich weiß wirklich nicht, wie das weitergehen soll.

    • @iamkindasomeone
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      96 months ago

      Wie es weitergeht ist relativ klar, weil das was wir aktuell sehen nur die Spitze des Eisbergs ist. Alles entwickelt sich gerade so, dass die Tore für die AfD weit geöffnet werden, jede Kritik und jede Missgunst gipfelt in immer rechtsextremeren Aussagen und Forderungen. Diese Nazimentalität ist besonders grausam, weil sie sich wie ein Hausschwamm in alles reinfrisst (Vereine, Behörden, Alltag und Öffentlichkeit) und man sie nicht mehr richtig rausbekommt. Die wirklichen Konsequenzen werden erst in einigen Jahren zu spüren sein, wenn die langsamen Mechanismen erst anfangen Wirkung zu zeigen. Seien wir ehrlich: die Nazis sind im Höhenflug und unsere Antwort ist ein viel zu zaghaftes “Hör auf mich zu ärgern”. Die Demokratie ist gegen solche Auswüchse nicht gewappnet.

      • @Sodis
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        76 months ago

        Die Demokratie in Deutschland wäre schon gewappnet, wenn da mal jemand den Arsch in der Hose hätte ein Parteiverbot anzustreben. Im Nachhinein würde ich auch sagen, dass das Nichtverbot der NPD aufgrund fehlender Relevanz ein Fehler war. Das hat den Korridor für das Verbot demokratiefeindlicher Parteien stark eingeengt, weil man sie nicht im Keim ersticken kann.

        • @iamkindasomeone
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          66 months ago

          Schon damals war die Begründung absolut an den Haaren herbeigezogen und wirkte wie im Nachhinein konstruiert. Ein Land wie Deutschland, mit dieser düsteren Vergangenheit, die noch keine 100 Jahre zurückliegt, sollte es tatsächlich in den Pulsadern haben, solche rechtsextremen Tendenzen wirksam zu bekämpfen. Aber man sieht ja, wie wenig Interesse wirklich da ist.

          • @cjk
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            26 months ago

            Die Begründung war nicht konstruiert, sondern ergibt sich ziemlich deutlich aus dem GG.

            Das GG stellt drei Bedingungen für ein Parteiverbot:

            • sie wollen die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder beseitigen - war bei der NPD gegeben.
            • es muss ein aggressiv-kämpferisches Vorgehen vorliegen - war auch gegeben.
            • Potentialität - sie müssen das auch umsetzen können. Und genau das war hier halt nicht gegeben.

            Die Presse hat das nur sehr vereinfacht dargestellt als „mangelnde Relevanz“. Das war aber gar nicht das Kriterium.

            • tryptaminev 🇵🇸 🇺🇦 🇪🇺
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              46 months ago

              Die Relevanz oder Potentialität wie du es nennst, wurde als zusätzliches Kriterium des EUGh definiert. Auch steht im GG nichts von aggressiv-kämpferisch.

              im GG steht:

              Art. 21

              (1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

              (2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

              (3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

              (4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

              Damit genügt es nach dem Grundgesetz bereits, dass die Partei oder ihre Anhänger das Ziel haben, auch wenn sie damit keine Aussicht auf Erfolg hätten. Das “aggressiv kämpferisch” ist als Auslegung durch das BVerfG im KPD-Urteil 1956 dazugekommen. Diese Auslegung kann das BVerfG aber auch wieder ändern. Angesichts der Weiterentwicklung der politischen Mittel und Gesellschaft könnte das sogar geboten sein, weil man heute statt Kampfschriften und Radio Dauerbeschallung in sozialen Medien hat.

              https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/npd-verbot-deutschland-vergisst-europa/

              • @cjk
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                46 months ago

                Die Relevanz oder Potentialität wie du es nennst, wurde als zusätzliches Kriterium des EUGh definiert.

                Ich glaube, das verwechselst du. Ich habe gerade, weil ich mir nicht sicher war das richtig im Gedächtnis zu haben, nochmal im Wikipedia-Artikel nachgelesen. Dort steht:

                Darauf Ausgehen (Potentialität)

                Die Partei muss auch gerade darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Dies setzt nach dem Bundesverfassungsgericht voraus, dass „konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gerichtete Handeln einer Partei erfolgreich sein kann (Potentialität)“.

                Sie beziehen sich da als auf die Formulierung des GG: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen“ – das ist keine Anforderung des EuGH, sondern das BVerfG leitet das direkt aus dem GG ab. So zumindest mein Verständnis.

                Das “aggressiv kämpferisch” ist als Auslegung durch das BVerfG im KPD-Urteil 1956 dazugekommen.

                Ja, du hast recht. Das habe ich durcheinander geworfen.

                Diese Auslegung kann das BVerfG aber auch wieder ändern. Angesichts der Weiterentwicklung der politischen Mittel und Gesellschaft könnte das sogar geboten sein, weil man heute statt Kampfschriften und Radio Dauerbeschallung in sozialen Medien hat.

                Wir sprachen über den abgeschlossenen Fall der NPD :-) Ob man die Kriterien bei einem neuen Verbotsverfahren ggfls neu bewerten sollte habe ich gar nicht bewerten wollen. Ich denke allerdings, dass im Falle der AfD gar keine Neubewertung notwendig ist, da alle Kriterien gegeben sind.

                • Kühe sind toll
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                  6 months ago

                  Es muss nur endlich jemand die Eier in der Hose haben um ein Parteiverbot loszutreten. Es gibt schließlich auch genug Stimmen aus der Bevölkerung. Über 400.000 Menschen haben die Volksverpetzer Petition die die Prüfung eines AfD Verbots beantragt unterschrieben(innn.it/afdverbot ).

      • @teichflamme@lemm.ee
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        16 months ago

        Ein Verbot bringt effektiv auch nichts, dann wird halt die nächste Partei aufgemacht.

        Aus meiner Sicht versagt auch einfach die Politik. Die Leute sind desillusioniert in einem immer maroderen Staat, der ihnen viel verspricht und wenig hält.

    • @yetAnotherUser
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      26 months ago

      Die 30% der AfD-Wähler sind zudem nicht das einzige Problem. Da gibt es sicher noch weitere 30%, vorwiegend CDU-Wähler, die die AfD mindestens tolerieren.

      Es wird kein Parteiverbotsverfahren geben, da die Mehrheit kein Problem bei der AfD sieht.